Handel im Wandel – ein Blick in die Glaskugel

von Matthias Hilbert

Als eine Bekannte vor einigen Jahren aus ihrem Südkorea-Urlaub zurückkehrte, war ihr Glaube an die Fortschrittlichkeit des hiesigen Lebensmittelhandels dezent erschüttert. Sie berichtete von U-Bahnstationen, auf deren Wänden ganze Supermarkt-Sortimente abgebildet waren, in denen man per Smartphone und QR-Code einkaufen konnte und die Waren dann umgehend an die angegebene Heimadresse geliefert wurden. Eingeführt wurde dieses „Virtual Shopping“ vom britischen Handelsriesen Tesco, der es nach dem erfolgreichen Launch in Korea nach und nach in weitere Länder exportierte. Da wir Deutschen hinsichtlich der Adaption solcher Innovationen etwas reservierter sind, wird es wohl noch etwas dauern, bis auch hier Legionen von Pendlern ihre täglichen Einkäufe auf diese Weise erledigen – aber der Wandel nicht nur im Lebensmittelhandel wird sich auch in good old Germany nicht aufhalten lassen.

Technologien wie Augmented Reality, das Internet der Dinge und die immer präziser werdende Analyse von individuellen Persönlichkeitsmustern dürften wahrscheinlich sogar dazu führen, dass wir exakt auf unsere Bedürfnisse und Wünsche zugeschnittene Güter zugestellt bekommen, ohne konkret danach gefragt zu haben. Amazons kürzlich erfolgte Patentanmeldung auf sogenannte „Anticipatory Shippings“ geben einen Vorgeschmack auf diese Zukunft, die ich mir für das Jahr 2070 ungefähr so vorstelle:

Die unglaubliche Menge verfügbarer Daten über jeden einzelnen von uns, deren Austausch zudem fast keinerlei Restriktionen unterliegt, führt dazu, dass Retailer nicht mehr wie heute noch Massen von Konsumenten, sondern Individuen ganz persönlich ansprechen und bedienen werden. Das passiert nicht nur online, sondern ebenfalls noch in lokalen Shops. Es wird zwar viel weniger Geschäfte als heute geben, aber da Menschen nun mal die persönliche Interaktion lieben, werden sie wohl nicht ganz von der Bildfläche verschwinden. Betritt nun ein Kunde einen dieser Shops, etwa ein Outlet einer 2070 total angesagten Modemarke, wird das durch Sensoren erfasst und alle relevanten Daten zur Person werden von einer Data Analytics-Plattform in Echtzeit an einen Mitarbeiter übermittelt, der dann den neuen Kunden nicht nur mit Namen begrüßen kann, sondern ebenfalls schon einige Bekleidungs-Tipps für den Urlaub in petto hat, den der Shop Besucher in zwei Wochen anzutreten gedenkt. Will unser Zukunftskunde einige dieser wirklich unglaublich angesagten Jeans anprobieren (die wahrscheinlich leider wieder in Höhe der Kniekehlen getragen werden), muss er dazu nicht mehr in einer Kabine verschwinden. Es reicht, wenn er sich vor einen Spiegel stellt und die Hose wird in perfekter Passform eingespielt. Für die nächste Jeans reicht dann ein einfaches „Weiter“. Dank künftiger Augmented Reality-Fähigkeiten dürfte es sogar möglich sein, dass unser Kunde den Stoff und die Passform nicht nur sehen, sondern auch spüren wird. Fällt die Kaufentscheidung, wird die neue maßgeschneiderte Hose in Echtzeit produziert und bereits in der Wohnung unseres Kunden angeliefert worden sein, bevor dieser nach Hause zurückgekehrt ist – natürlich nur, falls er zuvor mit einem digitalen Fingerabdruck auch bezahlt hat.

Auch das „online“ von morgen dürfte mit dem heutigen Surfen per PC oder Smartphone nur noch wenig zu tun haben. Ich glaube, dass wir 2070 immer online sein werden und die reale und die virtuelle Welt weitgehend verschmolzen sein werden. Auch hier geben solche Produkte wie Oculus Rift schon jetzt einen kleinen Vorgeschmack. Statt QR-Code bepflasterter U-Bahnwände wird es künftig jederzeit und überall möglich sein, sich in einen virtuellen Shop zu begeben, der nur die Dinge bevorratet, die der Kunde braucht, mag oder mögen könnte. Eine kleine gesprochene Anweisung, und schon betritt man eine Warenwelt voller persönlicher Wunschträume – und muss nicht mehr wie in den heutigen Media Märkten erst an endlosen Reihen von langweiligen Staubsaugern und Waschvollautomaten vorbei hasten, um endlich den ersehnten 65“ 4K Ultra HD Curved TV in Augenschein nehmen zu können …

Ob ich mich allerdings in dieser von wenigen globalen Retail-Riesen beherrschten Zukunft wohlfühlen würde, weiß ich nicht recht. Aber das liegt wahrscheinlich nur daran, dass ich Deutscher bin.

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