Die Zukunft der Arbeit aus der Sicht eines ihrer Vordenker

1970 hieß der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, sein österreichisches Pendant war Bruno Kreisky, im Kanzleramt der Schweiz residierte Karl Huber und der Präsident der Vereinigten Staaten war ein gewisser Richard Nixon. Die Beatles trennten sich endgültig, Fußballweltmeister wurde zum dritten Mal Brasilien und über seine erste deutsche Fußballmeisterschaft freute sich ein aufstrebender Club vom Niederrhein, Borussia Mönchengladbach. 1970 war ebenfalls das Jahr, in dem sich in einer kalifornischen Kleinstadt 50 Kilometer südlich von San Francisco eine Firma gründete, die für die weitere Entwicklung der Informationstechnik eine entscheidende Rolle spielen sollte: das Xerox Palo Alto Research Center, kurz PARC. Zahlreiche Erfindungen dieser Institution wurden zu IT-Standards, die Forscher und Entwickler des PARC gehörten und gehören zur absoluten Elite ihrer Zunft.

Zu den Gründungsmitgliedern des PARC gehört Dave Biegelsen, der noch heute als Research Fellow in Teilzeit aktiv ist. Biegelsen ist Inhaber von mehr als 120 Patenten und einer der Vordenker der hochgradig digitalisierten und mobilisierten Art und Weise, in der wir heute arbeiten. Als Antwort auf die vor knapp 50 Jahren gestellte Frage, wie das Büro und die Arbeit der Zukunft aussehen könnte, entwickelten Biegelsen und sein Team die Technologien, welche ursprünglich rein papierbasierte Informationen aus ihren Kohlenstofffesseln befreiten und ihnen den Weg in die digitale Sphäre eröffnete.

Im folgenden Interview schildert Biegelsen seine Sicht auf die Arbeitswelt von heute und morgen:

Frage: Herr Biegelsen, wie würden Sie heute Ihre Arbeit beschreiben?

David Biegelsen: Nun, hauptsächlich besteht sie darin, nachzudenken und die Ergebnisse des Denkprozesses mit meinen Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren. Es macht mir einfach unglaublichen Spaß, Probleme zu identifizieren und zu lösen.

Frage: Machen Sie die technischen Hilfsmittel, die Sie dabei benutzen, eigentlich mehr oder weniger produktiv?

David Biegelsen: Technik ist nichts anderes als ein Verstärker menschlicher und zwischenmenschlicher Fähigkeiten. Moderne Technologien wirken gleichsam als nahezu unsichtbare und dabei hochwirksame Prothesen, die unsere natürlichen Limitierungen aufheben. Ein Beispiel: Das Internet ermöglicht es mir auf einfache Weise, in völliger Eigenverantwortung ständig hinzuzulernen und so neue Herausforderungen mit Expertenwissen angehen zu können. Es hilft mir bei der Findung immer neuer Ideen und dabei, sie auf Plausibilität zu überprüfen. Nur auf diese Weise ist es heute für uns Menschen überhaupt möglich, mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt zu halten und sicherzustellen, dass die Zukunft eine Symbiose von Mensch und Technik ist und wir uns nicht selbst überflüssig machen.

Frage: Welche drei Dinge würden Sie nennen, die für Ihren Job absolut notwendig sind?

David Biegelsen: Da wären erstens meine unglaublich kreativen Kollegen, zweitens mein seit jeher auf Interdisziplinarität ausgelegtes Arbeitsumfeld und drittens eine Unternehmenskultur, die Querdenken und die Arbeit in „white spaces“ nach Kräften fördert.

Frage: Was meinen Sie mit „white spaces“?

David Biegelsen: „White spaces“ sind die Regionen, die zwischen den festgelegten Grenzen von Disziplinen, Ansichten oder Überzeugungen angesiedelt sind. Mit schöner Regelmäßigkeit entstehen genau dort die Ideen und Lösungen, die unsere Welt ein Stück größer machen. Dazu ein Beispiel: Lange Zeit konzentrierten sich Informatiker ausschließlich darauf, immer stärkere Standalone-Rechner zu bauen. Erst der Paradigmenwechsel, sich auf die Vernetzung von Rechnern und die damit mögliche Kommunikation und Kooperation ihrer Anwender zu fokussieren, führte zu den atemberaubenden Resultaten, die wir heute als selbstverständlich betrachten. Das Zusammenbringen von Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen und Expertisen, die dann in den besagten „white spaces“ gemeinsam forschen und arbeiten, hat sich als sehr erfolgreiche Strategie erwiesen.

Frage: Wie wird Ihrer Meinung nach das „Büro“ der Zukunft aussehen?

David Biegelsen: Lustig, genau das war auch die Frage, die wir uns vor 47 Jahren anlässlich der Gründung des PARC gestellt haben. Dazu gehörte beispielsweise auch die Frage, ob dieses zukünftige Büro papierlos sein würde. Wir entwarfen seinerzeit eine Zukunftsvision, innerhalb derer alle immanenten Möglichkeiten des Papiers wie auch die neuen digitalen Möglichkeiten gleichermaßen zur vollen Entfaltung kommen würden. In dieser künftigen Welt gäbe es also gleichzeitig einen einfachen, kostengünstigen Austausch von jederzeit in einen Papierkorb zu stopfenden Informationen, wie dies nun einmal Papier erlaubt, und gleichzeitig die volle Durchsuchbarkeit, die Verbreitungsmöglichkeiten und die jederzeitige Rekonfigurierbarkeit digital vorliegender Informationen.

Frage: Zurückblickend, hat die Technik unsere Arbeitsplätze fundamental verändert?

David Biegelsen: Ich bin davon überzeugt, dass sich die technische Evolution mit der unseren im Gleichschritt vollzieht. Es handelt sich also um eine Art Co-Evolution, innerhalb derer sich, lustig formuliert, Kohlenstoff- und Silizium-Konstrukte im gleichen Rhythmus entwickeln. Wir entwickeln immer neue Silizium-Gerätschaften, die dann wiederum unsere Möglichketen erweitern. Wir konzentrieren uns dabei auf die Devices, die unseren menschlichen Bedürfnissen entgegenkommen, und trachten danach, diese immer leistungsfähiger zu machen, was uns wiederum ebenfalls leistungsfähiger macht.

Frage: Zurück zum Büro. Wohin wird es sich aus heutiger Sicht entwickeln?

David Biegelsen: Um das vorauszusagen zu können, sollte man meiner Meinung nach zu all dem, was wir heute als produktive Nutzungsmöglichkeiten des Konstrukts „Büro“ betrachten, auch neue und noch unbekannte Möglichkeiten in Betracht ziehen. Wir sollten dabei verstehen, dass es nicht nur eine potenzielle Zukunft gibt, sondern viele und möglicherweise lange Zeit koexistierende Entwicklungslinien. Meiner Meinung nach sind wir dabei, uns sehr schnell technische „Prothesen“ wie etwa die Augmented Reality zuzulegen, die es uns eine Arbeit in einem virtuellen Raum ermöglichen, in dem wir jederzeit und von überall auf die Informationen und Mitmenschen zugreifen können, die wir aktuell benötigen. Dieser Raum sollte dabei aber immer unseren menschlichen Anlagen und Bedürfnissen entsprechen. Insofern hängt die Gestaltung dieses Arbeitsplatzes nicht nur von Ingenieuren, sondern in gleichem Maße von Ethnographen und Psychologen ab.

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